28. Mai 2013

Sonntagsmesse

Stiftskirche Bonn, Detail vom Giebel. Gottvater ΑΩ · Foto Jörn
Was für eine andere Welt! Jedes Mal, wenn ich in die Messe komme, immer wieder, wird mir bewusst, was das doch für eine andere, separate Welt ist. Wie ein Dorf in Südtirol, wie ein fremdes Land, ferne Sitten. Ein Flug mit dem Ballon, vielleicht, den ich noch nie gemacht habe. Und dann: Was es für eine Gnade ist, eine Messe zu erleben, zu kennen, dazuzugehören zu dieser fernen Welt. Inzwischen schon zivilisationsfremd – oder immer schon? Unter Messe verstehen Heutige nur das, was wir früher eine Mustermesse genannt haben.
   Jeder Gläubige wird mir natürlich widersprechen. Kirche, Messe, Religion gehören zum Leben, zum Alltag. Ja, für manche. Manche sind auch Lokführer oder Archivare oder Bergleute, und die, die’s nicht sind, können sich’s nicht vorstellen, sind außen vor, sind dazu fremd. Lassen wir’s, das Argument, lassen wir’s stehen. Es kommt darauf nicht an. Ich meine nur, die Welt der Geschäfte, der Bekanntschaften und Besuche, der Mode und der Smartphones ist weit weg von Kirche, die höchstens als Sehenswürdigkeit in anderen Städten erlebt wird, leer dann oder voller Fremder. Markusdom. Oder sonst höchstens als extra Teil eines Familienfestes, einer Hochzeit, Taufe, Konfirmation, Erstkommunion (weniger bei einem Begräbnis am Friedhof).
   Zurück also zum Sonntag. Carla als Messdienerin: eitles Glück des alten Vaters. Ein liebenswürdiger Pfarrer, der, wie sie alle, zu lange predigt. Der das Schaumbad göttlicher Liebe herbeiredet, wie eine Verschwörungsformel, wie im Rückzug, Motto: Und er hat mich doch geliebt! Je länger, desto intensiver. Doch Sprache wirkt nicht durch Länge – das sollte ich mal selbst beherzigen! »Nach einem Augenblick der Stille«, ist sein liebster Spruch. ’s ist aber unfair, sich lustig zu machen über anderer Leute ehrliche Gefühle. Und ich will’s auch gleich sein lassen, will ihn loben als gläubig, lieb, initiativ und freundlich. Ein guter Pfarrer.
   Nur insgesamt kommt mir die Kirche bei ihrer Anpassung an die heutige Welt vor wie dauernd im Rückzugsgefecht. Da sprach er in der Sonntagspredigt doch nebenher von »Jüngerinnen und Jüngern«, vielleicht hat er’s gar nicht gemerkt. So wie sich in Politikerreden die »Bürgerinnen und Bürger« bereits zu »Bürgern und Bürgern« abgeschliffen haben. Von einem »Ideologem der Political Correctness« schrieb jüngst die NZZ*). Ich lernte da ein neues Wort, Ideologem.
   Jede Messe ein Fest. Diese war angekündigt als »besonders meditativer gestalteter Gottesdient«, sic, grammatikalisch verquer, seufz. Wer’s mag, dem sei’s nicht benommen. Gottes Brünnlein hat Wasser die Fülle. Psalm 65,10.
   Nun denn, eine fremde Welt soll man nicht kritisieren. Viel Glück der Kirche!

• »Das Gott«: http://www.nzz.ch/aktuell/international/berlin-wirbel-um-das-liebe-gott-1.17904898 
*) Aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 17. Mai 2013, Feuilleton, Seite 19, »Der Preis der Enthemmung« von Andreas Breitenstein (im Internet nicht gefunden): » … noch gibt es ernstzunehmende Kritik, die sich … auch gegen die Ideologeme der Political Correctness stemmt.«

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