22. September 2007

Wieder ein Konzert! Diesmal habe ich Tochter Carla nicht mitgenommen. Dafür habe ich mich ein bisschen hübsch gemacht. Es müssen ja nicht immer Standard-Jeans sein und ausgelatschte, teure Timberland-Schuhe (ein Kapitel für sich: Wie man so einen Schrott nur so gut verkaufen kann!). Also stilecht in grauer Hose, einfarbig blauem Hemd und passendem, leichtem Walkjanker (doch ohne Fliege) bog ich um zwanzig vor acht um die Ecke Friedrichstraße—Bonngasse und schritt mit anderen besser Betuchten hinein ins Beethovenhaus-Konzerthaus (»Kammermusiksaal«). Da tritt man in einem ganz normalen, allerdings neuen Stadthaus, direkt anschließend an Beethovens Geburtshaus, durch eine Drehtüre in einen kurzen Gang, der sich dann etwas erweitert mit Garderobe und zwei Verkaufstischen, der eine eine Art Kasse, der andere diesmal eine Ausstellung verschiedener CDs des Beaux-Arts-Trios, die sie auf Wunsch nach dem Konzert signieren würden. Familiär-gehoben. Ich müsste Thomas Mann sein, wenn ich’s beschreiben könnte. (Lange Sätze kann ich schon!) Von der freundlichen Kassenwärtin bekam ich nach hoffnungsfrohem Warten auf hoffentlich keine Spätkommenden wie am Vortag meine Pressekarte zugesteckt und fand diesmal in der Mitte des Auditoriums einen Platz.

Der Eindruck war ein ganz anderer als seitlich sitzend mit Carla. Nicht die Leute lenkten ab, höchstens das bewegte Spiel der Interpreten. Besonders der Gründer und Pianist Menahem Pressler sang so offensichtlich (natürlich tonlos) mit, dass manche einfach wegsehen mussten, um die Musik pur zu genießen. Wird es spannend – und das ist es ja beinahe in jedem Augenblick – so holt er Luft wie ein Karpfen, der eine heiße Kartoffel isst. Er wirkt alt, weiche Haut, dabei verschmitzt und höchst agil, zumal er fast zwei Kopf kleiner ist als der Violinist Daniel Hope, ein wahrer Hüne, noch dazu mit passender Beethoven-Mähne, vorne schütter, hinten wallend, rötlich. Er hat immer extra einen hohen, breiten Klavierstuhl unter sich (oben das Foto anklicken oder hier), er steht fast, und wiegt sich mit der Musik, schon damit ich ihn nicht immer nur hinter dem Mikrophonständer der Deutschen Welle zu sehen bekam. (Das Konzert soll am 3. Jänner 2008 um 21.05 Uhr vom Deutschlandfunk übertragen werden.) Die drei Herren sind, finde ich, publikumswirksam arrangiert, aber für sie wenig praktisch: Der Pianist im Hintergrund sieht seine Kollegen nur von hinten, höchstens schräg, und muss sich ganz nach rechts lehnen, um zu sehen, was der Violinist macht. Aber vermutlich könnten die Herren selbst im Stockdunkeln spielen.

Zuerst gab es Dvořáks Trio für Violine, Violoncello und Klavier e-Moll opus 90, das »Dumky-Trio« (übrigens alles gut erklärt im Programmheft von Ute Verwimp), nach der Pause Mark-Anthony Turnages »A Slow Pavane« für Klaviertrio und Beethovens »Erzherzog«-Trio in B-Dur opus 97, am Schluss als Zugaben Mendelssohns Scherzo aus seinem ersten Trio, einen »Diamanten«, wie Pressler sagte, und ganz zum Abschluss, Beethoven zu Ehren, »eine der schönsten Melodien«, das Adagio aus seinem Opus 11. Man kann sich vorstellen, wie gerührt das Trio sein Publikum entließ.

Ich hatte ja jahrelang keine Konzerte mehr gehört (höchstens Opern mit und für Carla). Meine »klassischen« Hörgewohnheiten gehen auf Berlin zu meinen Studentenzeiten zurück (1961—68), auf große Stücke in der Philharmonie – wir hatten dort sogar ein Karajan-Abonnement –, auf Bruckner, Brahms und Elgar, dirigiert von unter anderen Sir John Barbirolli (dem mit dem Daumen), auf Herbert von Karajan, dieser schon mit sehr pointierter Interpretation. So nahe, so intim fast wie gestern und vorgestern kenne ich Musik gar nicht. Dazu kommt, dass das Beaux-Arts-Trio (und vielleicht alle guten Interpreten heute?) Tempi und vor allem Dynamik der Stücke voll ausspielen. Ich hatte fortwährend Angst, ein leiser Ton am Klavier würde einmal nicht erklingen, die Taste ginge leer hinunter, so zart war zuweilen das Spiel Presslers. Wie weiß er nur – an einem fremden Steinway-Flügel – wann ein Ton gerade noch kommt? Ähnlich bei der Violine. Wie fein kann Spiel sein – oder haben wir die Töne nur im Geist gehört, im Kopf? Gewiss nicht. Dafür kennen wir Laien die Stücke doch zu wenig. Diese Spannung, die sich dann erst wieder in den schnellen, lauten Stellen furios entlädt, war fast nicht auszuhalten.

Dafür hatte ich diesmal im Hintergrund nicht noch mehr Leute anzugucken sondern die Rückwand des Saales. Man muss sich einen fast altmodisch nussholzgetäfelten Raum vorstellen, durch das steile Halbrund der Sitze so hoch wie breit, dunkelblaue Sitze, hellere Teppiche über die Treppenstufen, kein Podium, und als Bühnenabschluss zurückgesetzt ein Portal aus schwarzem Marmor mit seinen weißen Spuren. Stein spiegelt gut den Schall; die Leute vorne genießen ihn nicht nur, sie schlucken ihn auch: Die Akustik muss sehr gut sein. Was keiner hört, das ist der edle Duft von allerlei Parfüm, der im Saal liegt, frisch gepflegte Aufgeräumtheit.

Der Leser – so er mir bis hier gefolgt ist – merkt, dass ich die Freude, das Erlebnis dieses Abends weiter in die Länge ziehen wollte, und doch klappe ich jetzt im Interesse aller den Laptop zu. Es ist ein anderer Tag, eine andere Welt, und Klassik ein in der Ferne verklingender Hintergrund.

(Unten, von gestern, dem 21. 9. 7, mehr ...)

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