26. April 2007

Man sieht, was man sehen will: Kaum hatte ich hier von der Rück­wärts­gerichtet­heit der deutschen Lande polemisiert, brachte die NZZ einen Artikel über den Wieder­aufbau des Berliner Schlosses (25. April: «Das Berliner Schloss nimmt Konturen an». Optimistisch geschätzte Kosten 480 Mio. Euro. Soll dann nur mehr «Humboldt-Forum» heißen) und einen über den Versuch der Regierenden, die demokratisch gewünschte Wald­schlösschen­brücke bei Dresden zu verhindern (25. April: «Ein Brücken­streit gefährdet die Demokratie»). Modern dürfen bei uns nur die Eisenbahntunells im Altmühltal sein (Gesamtprojekt 3,6 Mia. Euro statt geplanter 2,3 Mia.). Also lassen wir das Thema.

Für unsere Carla haben wir einen der seltenen Ganztags­plätze im Kinder­garten. Ohnehin endet dort der »Ganztag« um 16.30 Uhr, aber immerhin. Nun wollte ich einer anderen Mutter, die für ihre Tochter in unserem Kinder­garten nur Vor­mittags­betreuung bekommen hat, was Gutes tun. Sie sucht dringend für ihre Tochter – Einzel­kind wie unseres, dabei aber isoliert wohnend – Betreuung am Nach­mittag. Wir sind die nächsten zwei Wochen in Süd­tirol, also müsste sie doch so lange Carlas Nachmittags­platz haben können. Die Anregung stieß auf heftige Ablehnung: Das sei gesetzlich verboten. Ein Platz, auch wenn er nicht eingenommen wird, sei besetzt, könne nicht übertragen werden, nicht einmal auf ein Kind, das eh schon im selben Kindergarten ist. Ich: Wer denn so eine hirn­verbrannte Regelung macht? Also »hirnverbrannt« hab ich nicht gesagt, man mag es aber durchgespürt haben. Ja, der Gesetz­geber. Ich möge mich doch beim städtischen Jugend­amt erkundigen. Tatsächlich erreichte ich dort die zuständige Dame, die mir die Sache bestätigte: Das Land will es so. Ich: Wer denn da im Land zuständig sei? Das Landes­jugend­amt in Köln. Auch dort erreichte ich die zuständige Dame am Telefon – nicht sofort natürlich, man tingelt sich da ja immer etwas herum, und dann sind die Beamtinnen ja auch nicht immer auf Parteien­verkehr eingerichtet sonder anderswo als am Telefon. Die Landesjugendamtszuständige meinte denn aber – ganz vernünftig – das sei doch zulässig und müsse lokal geklärt werden. Ich also wieder in Bonn zurückgerufen, dort war nur leider schon das Zeit­fenster unglücklicher­weise zu und der Anruf­beantworter an. Ich werd morgen weiterforschen ...
1. Wieso kümmert sich der Gesetz­geber auf Landes­ebene darum, ob statt Carla vierzehn Tage lang ein anderes Mädchen ihrer statt im Kindergarten essen und nachmittags da bleiben kann? Gezahlt isses ja. Warum werden die Kinder­gärten betrieben von Kirchen oder Privaten, bezahlt von der Stadt, mit dergleichen un­ver­ständlichen Gesetzen versorgt vom Land – und nicht gleich auf Bundes­ebene oder über Europa­recht? Im Zweifel pro Arbeits­vermeidung. Nur nichts bewegen. Das haben wir noch nie so gemacht. Da könnte ja jeder kommen. Das sind Gesetze, mein Herr, das ist nicht ein Dienst­leistungs­vertrag zwischen Ihnen und mir hier ...
2. Warum ist nie jemand wirklich verant­wortlich? Die Kinder­garten­leiterin schiebts auf die Stadt, die Stadt aufs Land, das Land weiß von nichts und delegiert zurück. Warum: Damit der Bürger resigniert. Resignation ist Zustimmung. Zustimmung zu diesem Geflecht der Zuständigkeiten, sprich: Filz. Wir sind dabei.
— Hier nun, wie die Geschichte weiterging. Nach meinem ermutigenden Anruf beim kölner Landesjugendamt versuchte ich wieder das hiesige Stadtjugendamt zu erreichen, nach dem technisch bewährten Kellerungs- oder Stack-Prinzip, wie rauf, so runter, last in, first out. Ab dann unterhielten sich allerdings nur mehr unsere Telefonbeantworter. Am Schluss registrierte meiner einen eiligen Anruf der Bonner Jugendamtsreferentin, ich möge das im Kindergarten klären. Sie hatte also eingelenkt. Wunderbar. Als ich am Nachmittag in den Kindergarten kam, hatte auch die Leiterin dort schon eingelenkt: Ab Montag kann das andere Mädchen vierzehn Tage (von mir gezahlt, eine »Spende« nannte es die Kindergärtnerin) lang an Carlas statt essen und wird nachmittags betreut (als »Gast«). Große Freude bei ihrer Mutter.
Fazit: Gott sei Dank bürgern sich hier langsam italienische Verhältnisse ein. Unsinnige Vorschriften werden notfalls umgangen. Fatta la legge, trovato l’ inganno – was ungefähr so viel heißt wie: Kaum ist’s Gesetz gemacht, finden die Leute schon drumherum. Nur halt nicht immer ganz freiwillig.

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